1. Mai 2019: Die Zäsur

                                             Aktuelle Fassung: 3.5.2019

Bisher konnte die Sichtweise sein, dass Sebastian Kurz einen strategischen Fehler beging, indem er mit der FPÖ ein Regierungsbündnis schloss. Das lässt sich an ganz konkreten Punkten festmachen: darunter der Übergabe des gesamten Gewaltapparates an eine Partei, die öffentlich über einen Bürgerkrieg und dessen Führung nachdenkt, aber dies immer wieder dementiert. Wie sie in aller Unglaubwürdigkeit auch anderes abstreitet.

Im Umfeld des 1. Mai 2019 ist nun eine Zäsur festzustellen. H.C. Strache, der Führer der FPÖ, distanziert sich nicht mehr von Einzelfällen in seiner Partei, sondern verwendet bewusst einen Begriff, der auch ein Schlüsselbegriff eines Massenmörders ist. Es ist ein Schlüsselbegriff im Zusammenhang mit Bildern, Wörtern, Sätzen, die suggerieren, dass Österreich „überrannt“ wird. Damit ändert sich die Rhetorik. Nicht mehr „Sager“ + Dementi, sondern Strache geht zur offensiven Vorbringung seiner Weltsicht über. Dabei geht es nicht nur um Spaltung, Polarisierung, sondern um eine Erweiterung der Rechtfertigung der Maßnahmen, die im Rahmen des Gewaltapparates gesetzt werden.

Bundeskanzler Sebastian Kurz distanziert sich zwar von den Angriffen auf JournalistInnen, wie sie von der FPÖ praktiziert wird, aber er ordnet den fraglichen Begriff von Strache nicht dem Massenmörder zu, auch nicht dem rechtsextremen Lager, sondern dem rechten Lager und betont, dass er diesen Begriff nicht verwende. Siehe dazu: https://tvthek.orf.at/profile/ZIB-2/1211/ZIB-2/14012069

Neu in diesem Kontext ist, dass Bundeskanzler Kurz die SPÖ in die Nähe von Massenmord (im selben Interview am 30.4.2019 – völlig willkürlich entgegen der Fragestellungen) und dann am 1. Mai in die Nähe von Terrorismus (einem Terrorismus, wie ihn der Präsident der Türkei versteht) bringt. Damit geht er von der Ernsthaftigkeit zur Lächerlichkeit über.

Diese Unseriosität ist einerseits ein deutliches Zeichen von Schwäche im Angesicht der Probleme mit seinem Koalitionspartner, aber auch einer Politik, die von der Tendenz her als Symbolpolitik zu verstehen ist. Andererseits offenbart es auch die Nervosität im Angesicht der Wahlen zum Europäischen Parlament am 26. Mai 2019.

Denn strategisch geht es Kurz darum, die SPÖ zu schwächen. Dafür nimmt er selbst die Schwächung der ÖVP in Kauf (Staatsapparat, Sozialversicherung etc.). Aber die SPÖ erweist sich am 1. Mai 2019 als gestärkt. Nicht nur wurde inhaltlich verstanden, welche Bedeutung die Digitalisierung für die Partei hat, sondern es wurde auch ansonsten deutlich, dass die SPÖ ihre Rolle zur Neugestaltung Österreichs findet. Dazu zählt eine Neupositionierung zu einer FPÖ, deren Führer aufgrund seiner Biographie und seinen aktuellen Handlungen dem Grundverständnis der Republik Österreich nach 1945 nicht in Frage kommt, sondern auch zu den Türkisen, die nicht in der Lage sind, die neuen Produktions- und Distributionsstrukturen zu verstehen und daraus die Schlüsse in Bezug auf Arbeit, Finanzierungen, Steuern etc. zu ziehen.

Wenn sich das bewahrheitet, was Bürgermeister Michael Ludwig am 1. Mai 2019 prognostizierte, dass die SPÖ bei den Europawahlen Erste wird, dann wäre dies der Anfang vom Ende vom Projekt des Bundeskanzlers Kurz. Denn seine derzeitige Stärke beruht im wesentlichen auf Umfrageergebnissen. Dagegen kann die SPÖ auf eine Stärkung ihrer Organisation hinweisen. Und auch ÖGB und AK sind gestärkt. Hingegen wird sich auch für seine Finanziers herausstellen, dass sie zwar (milliardenschwere) Zuckerln erhalten, aber strategisch gesehen geschwächt werden. Denn ihr Ziel ist es, für überholte Produktions- und Geschäftsmodelle staatlichen Schutz bzw. staatliche Förderungen zu erhalten bzw. auf Koste der SteuerzahlerInnen Gewinne zu machen.

Der Versuch der Rechten, Menschen auf ihre Individualität zu reduzieren ohne diese Individualität anzuerkennen, stehen Entwicklungen von neuen Vernetzungen, neuer Solidarität gegenüber. Unter demokratischen Bedingungen haben die Solidaren die Mehrheit. Daher wird mit Slogans wie Kopftuchverbot, Anti Hass Politik etc. versucht, die Gegner kenntlich zu machen, sie zu definieren, sie anzugreifen etc. Es geht den Kulturlosen nicht um Kultur, sondern um Machtkampf in all seiner Hässlichkeit.

Zwar werden in dieser Hinsicht Gesetze erlassen, Gewaltstrukturen entwickelt, aber es gibt auch erfolgreiche Gegenöffentlichkeiten. Die tendenzielle Erfolglosigkeit gilt auch für die Unterstützer der Rechten in den Öffentlichkeiten. Die Krone hat rund ein Drittel ihrer LeserInnen verloren, der Standard dagegen verzeichnet eine Rekordzahl von LeserInnen. Das entspricht auch den Trends für die New York Times oder dem Vertrieb des Buches von Reinhold Mitterlehner.

Der 1. Mai 2019 könnte in dem Widerspruchsfeldern der Entwicklungen daher durchaus als Zäsur angesehen werden. Im Zentrum stehen dabei nicht nur die Akteure als solche, sondern vor allem die gesellschaftlichen Realitäten. Deren Bedeutung wurde bisher nicht wirklich erkannt.

Erste Fassung: 1.5.2019
Versionen: 2.5.2019